Nachdem im
Vorfeld des Derbys sich der Verdacht aufdrängte, dass es mehr eine
Polizeiveranstaltung wird (die kuriose Spielverlegung, diverse
Unannehmlichkeiten bei der Organisation der Anreise), als ein Fußballfest, kam
in der Woche vor Ostern noch ein kleines Schmankerl in die Briefkästen einiger
Szene-Mitglieder. In Briefen wurde einem gedroht, dass das persönliche Verhalten
der Polizei als Maßstab dient, wie sie agieren wird. Ein Szene E Mitglied
erhielt für den Zeitraum des Spiels eine Meldeauflage. Die Begründung war alles
andere als einleuchtend und somit der Unmut über diese neue Ebene der Schikane
groß.
Doch der Verein setzte sich, in Person von Ottmar Rösch, unserem CO-Trainer, der
sich seit der Winterpause gleichzeitig um Fanangelegenheiten kümmert, für uns
ein. Somit konnte man die Reise zum Derby vollzählig antreten.
Bereits um 10:45 traf man sich auf dem Marktplatz zu Reutlingen und trat von
dort aus gemeinsam den Gang zum Bahnhof an. Hinter der Reutlingen-Fahne zogen so
gut und gerne 300 05er durch die Fußgängerzone und über die Karlsstrasse zum
Bahnhof, wo bereits der Rest der knapp 500 Reisenden wartete. Hier konnte man
schon fühlen, dass es kein gewöhnliches Derby werden wird.
Ursprünglich war geplant mit dem Zug nach Ulm zu reisen, doch die Bahn gab
bekannt, dass sie auf der Strecke nicht genügen Kapazitäten zur Verfügung
stehen, da die Strecke, wie bereits zum Ursprünglichen Spieltermin, in irgend
einer Weise bearbeitet wurde. Was man davon halten soll, sei jedem selbst
überlassen. Die Bahn stellte als Ersatz 12 Busse bereit, die direkt von RT ans
Donaustadion fuhren.
Gerüchten zufolge sollen in den Nächten vor dem Derby ein paar Reutlinger
Fussballfanatiker im Ulmer Heimblock Anti Ulm Parolen gesprayt haben und
ebenfalls vom Hörensagen ist bekannt, dass der Ulmer Ultramob in der Stadt an
die Falschen geraten sein soll und dort ins Laufen gebracht wurde.
Am Stadion angekommen gingen dann die Verhandlungen mit dem Sicherheitspersonal
über das Choreomaterial los. Zwar wurde bereits vorher per E-Mail lediglich ein
Megaphone und Zaunfahnen erlaubt, doch man nahm guten Mutes alles mit und bekam
schließlich mit viel diplomatischem Geschick auch alles in den Block. Eigentlich
wollte man zum Intro nur die Ulmer Aktion kontern, die uns dank des doch nicht
so sicheren WorldWideWebs bekannt war. Doch weil viele der Meinung waren, dass
das ein bisschen wenig wäre, entschied man sich spontan eine Fortsetzungsaktion
unter dem Motto "Für immer Reutlingen" eben beim Derby zu präsentieren. Das
passende Spruchband hing am Zaun, im Anschluss daran Folienbahnen in den
Reutlinger Vereinsfarben. Die Bahnen fanden ihren Abschluss in Fünf
Doppelhaltern mit dem Vereinswappen in der Mitte, welches vom Gründungsjahr 1905
eingerahmt war. Links und
Rechts von diesem Bild wurden Folienschals gezeigt, die das selbe Muster wie die
Folienbahnen hatten. Alles in allem eine schöne Aktion, deren Durchführung
allerdings zu wünschen übrig ließ. Nach diesem Intro bei dem alles, was
eigentlich verboten war verwendet wurde, wird den Sicherheitskräften in Zukunft
eine Argumentation gegen diverses Choreomaterial schwer fallen.
Die Ulmer wedelten schwarze und weiße Fähnchen und hielten vorne im Block eine
Fahne mit der Aufschrift "Ulmer Spatzen" hoch, auf der zusätzlich noch ein Spatz
zu sehen war. Wie bereits oben erwähnt hatten wir einen Konter Vorbereitet. Die
Fahne, die im Selben Stil gehalten, mit dem Spruch "Ulmer Spasten" versehen war
und nebenbei die beliebte Szene-Figur Mister Schuss, der den Spatzen mit Pfeil
und Bogen niederstreckt, zeigt, wurde allerdings erst gezeigt als die Ulmer
Mannschaft das 1:0 schoss. Im Anschluss daran folgte ein Spruchband "Wenn aus
Hass Mitleid wird". Wie sehr sich dieser Spruch bewahrheiten sollte, wussten wir
zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht, da unsere Elf zurück lag und die Ulmer
mächtig Druck machten. Doch noch vor dem Halbzeitpfiff fiel der viel umjubelte
Ausgleich.
Stimmungstechnisch war die erste Hälfte unter unserem Niveau. Zwar war der
Gästeblock mit rund 1000 Reutlingern für Oberligaverhältnisse mehr als gut
besiedelt und es wurde auch durchgehend gesungen, doch war es wahrscheinlich
gerade diese große Anzahl von Reutlingern, die sonst nicht gemeinsam im Block
stehen, die uns anfangs Schwierigkeiten bereitete. Dies sollte sich allerdings
in der zweiten Hälfte deutlich ändern. Der frühe Führungstreffer half dabei
natürlich enorm, da daraufhin auch der Letzte im Gästeblock die Blockade in der
Zunge lösen konnte. Die Reutlinger Gesänge wurden immer Lauter und spätestens
als zum ersten mal die "Null" angestimmt wurde, verstummten die restlichen
8000-9000 Menschen im Donaustadion entgültig und lauschten andächtig den Klängen
aus der Gästekurve. Vom ersten Platzverweis der Ulmer begünstigt und von der
Atmosphäre beflügelt, legte nun die Reutlinger Tormaschinerie los und schoss die
Ulmer Stück für Stück aus dem eigenen Stadion.
Die Stimmung des Schwarz-rot-weißen Anhangs wurde dadurch natürlich nur noch
besser. Als beim "Reutlingen" Echo sogar die Heimtribüne mit einstimmte traute
man seinen Augen und Ohren kaum und war sich sicher, dass mindestens 1500-2000
Reutlinger dem Derby beiwohnten. Bei einem Schnitt von 1800 Zuschauern an der
heimischen Kreuzeiche eine unglaubliche Zahl. Spätestens als bei der UMBA sich
der komplette Gästeblock geschlossen hinsetzte, war auch unser anfänglicher
Groll über die mäßige Supportleistung in Hälfte 1 vergessen.
Der Sieg war auf jeden Fall verdient, wenn er auch zu hoch ausgefallen ist,
bleibt es ein denkwürdiger Tag für jeden Reutlinger, der vor Ort war. Die Ulmer
wurden in jeglicher Hinsicht geschlagen. Wer den Erzrivalen, der nebenher der
zweite der Tabelle ist, mit 5:1 in deren Stadion deklassiert, darf berechtigter
Weise vom Aufstieg träumen, ohne allerdings überheblich zu werden. Die
Mannschaft muss sich weiter auf den Oberligaalltag konzentrieren, der uns Fans
spätestens beim nächsten Gastspiel in Gmünd wieder einholen wird. Doch man hat
gesehen, was in einem Reutlinger Block alles möglich ist und vielleicht hat ja
der ein oder andere Reutlinger wieder Blut geleckt und sich neu in seinen SSV
verliebt und wir stehen am Samstag mit mehr als den üblichen 200 Verrückten im
Block irgendwo im schwäbischen Niemandsland.
Bis es soweit ist wird allerdings mit den Bildern vom Ostermontag 2006 im
Hinterkopf gefeiert, die wohl niemand, der sie am eigenen Leib erfahren durfte
je vergessen wird.
Aus solchen Spielen werden Legenden geboren, wie auch immer die weitere Zukunft
aussehen mag.
Dank geht an die 80 Stuttgarter und 4 St. Gallener.